Die Kulturgeschichte des Schweins sowie seine persönlichen Erfahrungen von der Geburt eines Tiers bis zu dessen Schlachtung beschreibt Kristoffer Hatteland Endresen in seinem lesenswerten Debüt-Buch.
Die älteste bekannte figürliche Darstellung eines Schweines befindet sich in einer Höhle in Indonesien. Sie ist mindestens 44.000 Jahre alt. Erst Anfang 2021 ging diese Entdeckung durch die Medien. Sie steht auch am Beginn des neuen Buchs „Saugut und ein wenig wie wir. Eine Geschichte über das Schwein“ von Kristoffer Hatteland Endresen.
Auf 272 Seiten befasst sich der Norweger unvoreingenommen mit dem Tier und dessen Haltung. Er selbst schätzt gutes Schweinefleisch, weiß aber auch um problematische Aspekte rund um die intensive Schweinehaltung. Sein Wissen beruht auf umfangreichen Literaturrecherchen, ergänzt durch mehrmonatige Arbeiten in einem Stall. Durch Letztere kann er vielfältige Erfahrungen schildern, sein Ziel, mit den Tieren eine Beziehung aufzubauen, erreicht er aber nicht.
Ausführlich beschreibt Endresen das schwierige und ambivalente Verhältnis des Menschen zum Schwein. Belege hierfür gibt es en masse. Einerseits verschenken wir zu Silvester Glücksschweine und erfreuen uns an niedlichen Bildern der Ferkel in Büchern und Filmen. Winston Churchill soll sogar gesagt haben: „Hunde sehen zu dir auf, Katzen sehen auf dich herab. Gib mir lieber ein Schwein. Es sieht dir in die Augen und behandelt dich gleichwertig.“
Andererseits wird „Schwein“ als Schimpfwort verwendet, als Metapher des „Vulgären, Schändlichen und Sündhaften“, wie es Endresen ausdrückt. In manchen Kulturkreisen und Religionen, wie dem Judentum und dem Islam, gilt das Schwein als unrein. Im Christentum ist die Bewertung des Tieres nicht so eindeutig. Einerseits hat Jesus klar das Essverbot von Schweinefleisch aufgehoben. Anderseits soll er einem Mann einen Dämon ausgetrieben und diesem danach erlaubt haben, in eine Schweineherde zu fahren. Die Tiere seien dann in den See gestürzt und ertrunken. Die Evangeliumsstelle könnte aber auch eine geopolitische Komponente haben (auf die im Buch nicht hingewiesen wird). Denn das Wappentier der in Palästina stationierten zehnten römischen Legion war ein Eber, und der Dämon sagt selbst von sich, er heiße Legion. Die Besessenheit könnte also mit der römischen Militärherrschaft zu tun haben.
Laut Endresen war das Schwein jedenfalls schon lange vor der Niederschrift des Alten Testaments und des Koran in den betreffenden Regionen eine „ausgestoßene Art“. Als mögliche Gründe für den Rückzug des Tieres und dessen Essverbot nennt der Autor folgende: allen voran wirtschaftliche und machtpolitische.
So braucht das Schwein deutlich mehr Wasser, um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren als die sich damals ausbreitenden Hühner. 6.000 statt 3.500 Liter sollen es sein (Rinder: 51.000 Liter; Schafe: 43.000 Liter). Andere nützliche Produkte wie Eier fehlen bei den Säuen natürlich. Das Schwein war zudem ein Tier der unteren sozialen Klasse, ernährte sich von Abfällen und verwüstete Felder – was wohl auch nicht seine Beliebtheit förderte.
Einige Ähnlichkeiten
Wie auch die Stellung des Schweins in der jeweiligen Kultur sein mag, eines wird auf wissenschaftlicher Ebene durch Verhaltensexperimente immer deutlicher: Schweine sind vergleichsweise intelligente Tiere. Allerdings gibt es bislang keine schlüssigen anatomischen Erklärungen hierfür. Weder ist das Gehirn des Schweins besonders groß, noch dessen Anzahl an Neuronen in der Hirnrinde. In der Medizin weiß man die Ähnlichkeiten mit uns Menschen zu schätzen. „Noch heute kommt kein Medizinstudent in der Anatomie ohne Schweineorgane aus. Kein Chirurg lernt ohne Schweinehaut, Wunden zu nähen oder darf operieren, ohne sich an lebendigen Schweinen versucht zu haben“, so der Norweger, der in seinem Buch auch eine solche Operation beschreibt. Nicht zuletzt sind Schweine wichtige Organspender. In den USA haben Mediziner heuer erstmals ein Schweineherz eingesetzt. Es war genverändert, um der natürlichen Abstoßungsreaktionen und dessen übermäßigem Wachstum entgegenzuwirken. Laut New York Times soll der Patient den Arzt vor dem Eingriff gefragt haben: „Werde ich grunzen?“ Zwei Monate nach dem Eingriff ist er verstorben. Die Ähnlichkeiten des Menschen mit dem Schwein haben auch zu umstrittenen und gewagten Hypothesen geführt, wie jener eines amerikanischen Genetikers. Auch sie wird in dem Buch kurz vorgestellt.
"Noch heute kommt kein Medizinstudent in der Anatomie ohne Schweineorgane aus. Kein Chirurg lernt ohne Schweinehaut, Wunden zu nähen oder darf operieren, ohne sich an lebendigen Schweinen versucht zu haben." Kristoffer Hatteland Endresen
Demnach soll der Mensch nicht Resultat eines geradlinigen Evolutionsprozesses vom Affen sein. Vielmehr habe sich irgendwann in geraumer Vorzeit ein wildes Tier in die Linie gemischt – ein Schwein. Gepaart hätten sich ein Eber und eine Äffin, denn ihr Nachkomme sei von Affen großgezogen worden und habe sich unter ihnen weiterentwickelt. Zahlreiche anatomische Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Schweinen sollen für diese Theorie sprechen. Ebenso wie Gemeinsamkeiten, die wir nicht mit Schimpansen teilen: die Fettschicht unter der Haut, Haarwuchs an bestimmten Stellen, kein Penisknochen und bestimmte Mikrostrukturen in unseren Organen.
Fotos: Verlag Westend