Dieser Warnruf klingt wie eine Krankheit. Dabei ist „Künstliche Intelligenz“, kurz KI, ein Hilfsmittel und für viele unbemerkt in Österreichs Kuhställe eingezogen.
„Keine Ahnung?“ gibt es nicht mehr! Wissen wir heute etwas nicht, fragen wir „Doktor Google“ – oder bei einer anderen Suchmaschine im Internet nach. Binnen weniger Sekunden bekommt man Antworten. Ob diese immer korrekt und zweckdienlich sind, wissen wir nicht, doch KI und Algorithmen liefern immer eine Auskunft. KI ist eigentlich ganz einfach, klingt für viele aber noch kompliziert. Um etwa KI im Kuhstall begreifbar zu machen, stellt ProHektar auf den folgenden Seiten einige aktuelle KI-Projekte auf heimischen Milchviehbetrieben vor.
Voraussetzung für die Integration von KI-basierten Systemen am Hof sind natürlich schnelles Internet am Standort und die Finanzierbarkeit neuer Technologien. Mit dem Förderprogramm „Breitband Austria 2030: Connect“ werden derzeit bundesweit land- und forstwirtschaftliche Betriebe bei der Anbindung an das Glasfasernetz unterstützt. Projektkosten bis zu 50.000 Euro werden gefördert. Digitaler Fortschritt geht zudem nur Hand in Hand mit der Forschung. So werden an der Forschungsanstalt Raumberg-Gumpenstein in der Steiermark aktuell folgende Projekte für Tierhalter erforscht werden:
- Muuh-ID Monitor: Systeme zur Tieridentifikation mithilfe von Kameras und Abkalberkennung mit Mechatronics Austria. Konkrete Ergebnisse liegen noch nicht vor.
- P4Heat: Verbesserung der Brunsterkennung durch das System Smaxtec für die Kombihaltung mithilfe der Hauben-Pansen-Motorik. Projektstart ist im Herbst 2023.
- RatioKorrekt: Anwendung zur Optimierung der Ration mit dem Smaxtec-System, in Kombination mit einem automatischen Fütterungssystem von Hetwin.
- SatGrass: Ertragsschätzung und Bestimmung des richtigen Schnittzeitpunktes mittels Satelliten.
- agrifoodTEF-Services: Testung von Robotern, Brunsterkennungssystemen und Umweltbewertung von digitalen Technologien. Derzeit noch in Planung.
1. Im Stall und am Feld
Im Podcast der Forschungsanstalt Raumberg-Gumpenstein erklärt Projektmitarbeiterin Magdalena Waldauer, wo digitale „Tools“, also Online-Werkzeuge und Künstliche Intelligenz, schon fixer Bestandteil des Alltags sind: „Digitalisierung ist keine eigene Disziplin. Sie ist ein Werkzeugkoffer, aus dem sich die verschiedenen Fachdisziplinen bedienen. In der Forschung, in der Praxis und auch im Alltag.“ Für die Landwirtschaft bedeutet dies, dass bereits in der Planungsphase eines neuen Rinderstalls die Digitalisierung eine Rolle spielt und bestenfalls später, im täglichen Management der Rinder, miteinfließt.
Digitale, KI-basierte Vorhersage-Systeme erreichen bereits Marktreife
Schon beim Sondieren von „smarten Lösungen“ für den künftigen Stall sollte man sich mit den neuesten Technologien beschäftigen, um sich dann im Fall des Falles für eine Anschaffung zu entscheiden, die dem eigenen Kosten-Nutzen-Verhältnis gerecht wird. Die gute Nachricht: Digitale, KI-basierte Vorhersage-Systeme für die Rinderhaltung erreichen bereits Marktreife und sind damit auch schon für viele Nutztierhalter leistbar.
Abschreckend sind für manche Landwirte dennoch die hohen Anschaffungskosten etwa einer Kamera, einer Drohne, eines Melkroboters oder von Pansensensoren für die Kuhherde. Weil diese Werkzeuge jedoch Arbeitsvorgänge effizienter machen oder langfristig Kosten für Tierarzt und Co. einsparen helfen, spricht aus Sicht vieler KI-Experten aber vieles für sie. Rund um das Jahr 2000 war es in Österreich noch für viele Milchbauern unvorstellbar, ihre Kühe mit einem der damals ersten vorgestellten automatischen Melkroboter zu melken. Heute zählt man in der Alpenrepublik mittlerweile offiziell erfasst knapp 1.700 davon.
Auch Echtzeit-Daten aus dem Magen einer Kuh zu erfassen, galt damals als Vision. Heute weiß man dank Pansensensoren, wann eine Kuh brünstig ist oder ihre tägliche Futteraufnahme geringer war als tags zuvor. Sensoren in Kuhmägen und Kameras im Laufstall über den Köpfen der Tiere montiert liefern in Echtzeit Daten, mit denen das Herdenmanagement optimiert und Zeit eingespart werden kann. Der Trend auch in der heimischen Milchwirtschaft geht klar in Richtung Automatisches Melksystem (AMS). Im Durchschnitt melkt ein AMS hierzulande etwa 55 Kühe.
2. Wenn der Rindermagen spricht
Alles begann mit einer Bastelei im Jahr 2006. Schon damals war klar, dass der pH-Wert im Pansen von Milchkühen ein wichtiger Indikator für die Tiergesundheit ist. Das Problem lösen sollten Sensoren, die sich im Inneren der Kuh einnisten und Auskunft über deren Wohlbefinden geben. Dem angenommen hat sich das damalige Grazer Start-up SmaXtec, das aus einem Forschungsprojekt hervorgegangen ist. Heute ist man Weltmarktführer in diesem Bereich, so der Chef des Unternehmens, Stefan Scherer, im Gespräch mit ProHektar.
Bei einem im Juli von der Firma organisierten internationalen Expertentreffen war die Rede vom „schnellst wachsenden Monitoringsystem“ in der Milchbranche. Natürlich gibt es auch andere Sensortechniken, welche die Aktivität, Körpertemperatur und weitere Indikatoren messen, doch keine sei „so präzise und nutzerfreundlich wie jene aus der Steiermark“, so die Erfahrungsberichte von Milchviehhaltern aus mehreren Ländern.
Vergleichsprodukte seien vielfach „auf der Kuh“ angebracht, am Hals, am Ohr oder an den Beinen. Manche arbeiten mit videogestützer Technologie. Der SmaXtec-Boli hingegen wird der Milchkuh einmal über das Maul verabreicht und bleibt somit ein Kuhleben lang im Netzmagen. Dort erheben Sensoren etwa den pH-Wert, die Körpertemperatur, Bewegungszeiten, das Trinkverhalten und vieles mehr. Der über die Jahre hinweg weiterentwickelte Pansen-Sensor liefert dem Hörndlbauern wichtige Informationen und qualitativ hochwertige Daten – direkt auf das Smartphone, versteht sich. „Entscheidend ist die Früherkennung von Krankheiten. Wenn der Landwirt die Krankheit äußerlich sieht, ist es bereits zu spät.“, betont Scherer.
„Entscheidend ist die Früherkennung von Krankheiten. Wenn der Landwirt die Krankheit äußerlich sieht, ist es bereits zu spät.“ Stefan Scherer
Gesündere Kühe, höhere Milchleistung, weniger Arbeit
SmaXtec verspricht also mit dem Bolus neben gesünderen Kühen und höherer Milchleistung weniger Arbeit, indem man damit frühzeitig gezielte Handlungsempfehlungen erhält. Hier vor allem dank der Erweiterung der Datenerhebung um die Wiederkauaktivität, die auf Basis von Pansenkontraktionen erfasst wird. Diese Analysen bringen Abweichungen rasch zum Vorschein, um daraus noch genaueres Vorgehen für die Gesundheit, Fütterung, Brunst und Abkalbungen abzuleiten. Und das alles über eine „Cloud“, die sämtliche Gesundheitsdaten der Kuh speichert, sortiert und miteinander verknüpft. Braucht es also überhaupt noch einen Tierarzt? „Deutlich weniger als ohne“, sagt Scherer. Auch der Antibiotikaeinsatz könne verringert werden, sagen Landwirte, die den Pansensensor nutzen.
Neuester Streich dieses KI-Monitoring-Systems sei das verlässliche Erkennen von Mastitis bei Milchkühen, noch bevor diese äußerlich an den Zitzen bemerkbar ist. Auch damit sei man Vorreiter bei der Erkennung und Behandlung der häufigsten Erkrankung bei Milchkühen, so Scherer.
„Was früher Opa gemacht hat“
Wer leistet sich mittlerweile dieses System? „Die Gründe, unser System zu nutzen, sind vielfältig, von Zeiteinsparung über Stressreduktion hin zu Antibiotikareduktion durch höhere Tiergesundheit“, so Scherer. Auch Verbesserung des Reproduktionsmanagements mit automatischer Brunsterkennung sei in diesem Zusammenhang zu nennen. „Also das, was bei Nebenerwerbsbauern früher vielleicht der Großvater gemacht hat.“
Bei jenen Landwirten, die sehr technologieaffin sind, sei in Österreich schon eine gute Marktdurchdringung gegeben, meint der CEO. Während andere noch überlegen, ob sich so eine Anschaffung für sie lohnt, arbeiten ihre Kollegen in anderen Ländern, von Deutschland, Holland, Dänemark, Großbritannien, Irland bis USA und auch Neuseeland, bereits häufiger damit.
3. Nebenerwerb dank Kameras
Ähnlich smart, aber mit einer anderen Technologie arbeitet das Salzburger Start-up Cognify. Hier beobachten Kameras Kühe, die gesammelten Daten verknüpft im Hintergrund eine Software mittels KI. Das System wurde von Österreichs Bundesregierung mit einer Million Euro gefördert. Von Cognify gemeinsam mit der Firma Mechatronik Austria abwickelt, werden sowohl die einzelnen Tiere der Herde mit KI-gestützter Bildanalyse identifiziert als auch die Verhaltensmuster der Herde beobachtet und kategorisiert. Aus via Livestream gesammelten Kuhstall-Daten werden Rückschlüsse auf die Aktivität und die Gesundheit der Tiere gezogen. Auch Erkrankungen oder eine anstehende Brunst werden per Kameraauge erfasst. Im Gegensatz zu SmaXtec zielt die Technologie von Cognify auf kleinere Betriebe ab, die anders als Großbetriebe oft im Nebenerwerb geführt werden und sich mit der kameragestützten Bildanalyse Zeit im Kuhstall sparen sollen.
Ohne Sensorik im Pansen oder am Hals
Martin Simmerstatter, Geschäftsführer von Cognify, und sein Kollege Markus Zehentner von Mechatronik Austria erläutern die Philosophie dahinter: „Damit es den Tieren gut geht, auch wenn Landwirte einer Erwerbstätigkeit nachgehen, wollen wir mit unserer Forschung einen Beitrag zur Digitalisierung leisten.“ Komplett ohne Sensorik im Pansen oder am Halsband könne man analysieren, was die Rinder machen. Das sei auch kostengünstig, versprechen sie. „Gemeinsam mit den Fachleuten aus Raumberg-Gumpenstein wollen wir das Verhalten der Tiere interpretieren, für mehr Tierwohl forschen und damit wichtige Infos für die Landwirte per Handy-App und am PC zur Verfügung stellen.“
Via App werde der Landwirt rund um die Uhr darüber informiert, ob eine Kuh brunftig ist, eine Abkalbung beginnt oder Tiere sich generell auffällig verhalten. „KI wird nach wie vor sehr negativ dargestellt. Dabei gibt es so viele Beispiele, wo wir uns diese Technologie zum Vorteil machen können“, meinen die Gründer.
4. Grünlandernte noch smarter
Für die Gesundheit einer Milchkuh ist natürlich auch das Futter entscheidend. Daher spielen neue KI-Technologien auch beim Management von mehrmähdigen Wiesen und Weiden eine immer größere Rolle. Beim Forschungsprojekt SatGrass in Raumberg-Gumpenstein geht es um ein Monitoring von Grünland. Satelliten des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus haben Grünlandbestände und deren Nutzung kontinuierlich mit hochaufgelösten Bildern auf verschiedenen Feldstücken beobachtet. „Wir erfassen, was sich verändert und wie der Pflanzenbestand darauf reagiert“, erläutert Waldauer. Um daraus relevante Vegetationsdynamiken ableiten zu können, vereint SatGrass Fernerkundungs- und Wetterdaten in einem Schätzmodell. In der Praxis erprobt sind Monitorings von Wiesen und Weiden mit Satelliten und Drohnen. Darauf sollen Empfehlungen für den Schnittzeitpunkt oder die Art und Dauer etwa einer Beregnung erfolgen.
Die vom Bund finanzierte Forschungsanstalt gilt beim satellitengestützten Monitoring von Grünlandbeständen als Vorreiter. Daten werden dort nämlich nicht nur erhoben und verknüpft, die Forscherinnen leiten daraus mithilfe von KI auch Modelle für die künftige Grünlandbewirtschaftung ab, etwa durch Schätzungen von Ertrag und Futterqualität sowie deren Dynamik über die Vegetationsperiode hinweg. Landwirte erhalten damit eine belastbare Informationsgrundlage zur Bestimmung des optimalen Schnittzeitpunktes, so Andreas Schaumberger und Andreas Klingler. SatGrass soll darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Klimawandelfolgen und zur Anpassung der künftigen klimatischen Veränderungen leisten.
Fotos: Sabine — stock.adobe.com, Agrarfoto.com, SmaXtec, HBLFA Raumberg-Gumpenstein