Weil in der europäischen Lebensmittelindustrie jedes Jahr zig Tonnen an Obstkernen anfallen, hat sich ein junges Start-up aus Niederösterreich die marktfähige Verwertung von organischen Reststoffen zur Aufgabe gemacht.
Bisher beschränkte sich die Nutzung der regionalen Steinobst-Vielfalt fast ausschließlich auf die Verwertung der Frucht, auf den Genuss und die Verarbeitung des saftigen Fruchtfleisches und des aromatischen Saftes. Auf das Innere der Frucht, auf den wertvollen Samen in der harten Schale wurde nur selten besonderer Wert gelegt. Nur wenige Obstverarbeiter wissen damit etwas Vernünftiges anzufangen. Zumeist werden lästige Steinobstkerne einfach weggeworfen oder getrocknet, um sie anschließend einer thermischen Verwendung zuzuführen.
Sinn und Zweck
Für Luca Fichtinger und sein Team des Start-ups „Wunderkern“ ist dieser Umstand schlicht eine Verschwendung von wertvollen Ressourcen. Gemeinsam wurde eine Idee geschmiedet, wie sich die Samen von Steinobstkernen zu hochwertigen, geschmackvollen Lebensmitteln veredeln lassen. Aus einer Idee erwuchs das Unternehmen „Wunderkern“ mit dem Ziel, eine Veränderung in der Lebensmittelbranche anzustoßen und der Verschwendung in der Industrie entgegenzuwirken. Der Auslöser für dieses Unterfangen beruht auf der Nutzung eines bisher vergessenen Rohstoffes: Obstkerne. Jedes Jahr werden achtlos Unmengen von Obstkernen der Marille, Kirsche und Zwetschke entsorgt. Der Verlust wird durch Überproduktion ausgeglichen, die einen negativen Effekt auf unsere Umwelt hat und den Klimawandel vorantreibt. Die simple Idee zu essen, was schon da ist, bevor neu angebaut wird, ist die treibende Kraft hinter der so dringend benötigten Veränderung. Deshalb möchte „Wunderkern“ Produkte unter dem Ansatz einer 100%igen Ressourcennutzung kreieren, die unsere Welt zu einem besseren Ort machen, ohne beim Geschmack einzusparen. „Gemeinsam mit unseren Kundinnen und Kunden sowie Kernretterinnen und Kernrettern können wir Wunder bewirken“, betont Luca Fichtinger.
Wer steckt hinter „Wunderkern“?
Hinter der jungen Marke steckt das österreichische Forschungsunternehmen „Kern Tec“. Die Gesellschaft wurde 2019 von den vier motivierten Jungunternehmern Luca Fichtinger, Michael Beitl, Fabian Wagesreither und Sebastian Jeschko in Niederösterreich gegründet. Mit viel Fleiß entwickelten die vier Gründer Maschinen, um Obstkerne zu knacken und zu veredeln. Um die wertvollen Kerne zu retten, holten sie Fruchtverarbeiter aus Europa an Bord. Die jungen Unternehmer setzen der Verschwendung landwirtschaftlicher Produkte etwas entgegen und veredeln dazu anfallende Reststoffe. Daraus entstehen diverse Erzeugnisse, die in den Bereichen Lebensmittel, Kosmetik, Gartengestaltung oder Industrie Anwendung finden. Aus dem kleinen Start-up ist mittlerweile ein junges Unternehmen mit knapp 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geworden. In kürzester Zeit etablierte „Kern Tec“ einen Produktionsstandort in Herzogenburg und ein Büro in Wien.
Täglich 16 Tonnen
Im „Kern Tec“-Werk werden bereits täglich bis zu 16.000 Kilogramm Kerne geknackt und zu hochwertigen Ressourcen veredelt. Mit „Wunderkern“ möchte man nun selbst den Markt so richtig aufmischen und das Potenzial der Rohstoffe im Lebensmittelbereich in den Vordergrund rücken. Es gilt Konsumentinnen und Konsumenten aus erster Hand zu überzeugen und sie direkt an das Wunder im Kern heranzuführen. Denn es benötigt innovative und kreative Ideen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken – wenn es dabei auch noch schmeckt, umso besser.
Der intensive Entwicklungsprozess hat sich jedenfalls gelohnt. Durch ein einzigartiges Verfahren werden in einer eigens errichteten Anlage in Herzogenburg die Kerne der Marille, Kirsche und Zwetschke gespalten, damit die darin befindlichen Samen zur Herstellung nachhaltiger Lebensmittel verwendet werden können. Bisweilen wurden bereits Gourmet-Öle sowie Schoko-Aufstriche kreiert. Einige Lebensmittel, wie auch diverse Nuss-Sorten im Supermarkt, enthalten natürliche Giftstoffe, so schmecken auch die rohen Samen der Marille wegen der enthaltenen Blausäure-Verbindungen bitter. Durch eine schonende Verarbeitung der Kerne wird die Blausäure bereits am Anfang auf ein unbedenkliches Niveau reduziert. Sie enthalten dann nur noch so wenig von der Substanz, wie wir es auch von anderen Produkten im Supermarkt gewohnt sind.
Nachhaltigkeit
Mit Marillenkernen als Basis hat „Wunderkern“ seit Kurzem eine echte Weltinnovation im Sektor der pflanzlichen Drinks auf den Markt gebracht. So enthält jeder „Wunderkern“-Drink rund 82 Marillenkerne und überzeugt mit seinem leicht nussigen Geschmack. Im Vergleich zu anderen pflanzlichen Drinks sind besonders die Vorteile für die Umwelt herausragend. „Wunderkern“ zufolge wurden die positiven Auswirkungen des regionalen Rohstoffes offiziell berechnet. Marillenkerne, die vor Entsorgung als Müll gerettet wurden, sparen im Vergleich zu Hafer, Soja oder anderen Grundrohstoffen mindestens 30 % CO2-Emissionen. Noch eindrucksvoller ist die Reduktion in puncto Wasserverbrauch: Marillenkerne sparen hier gegenüber Mandeln satte 96 % ein. Das ergibt umgerechnet auf ein Kilogramm Rohstoff eine Ersparnis von 26 vollen Badewannen.
Darüber hinaus gilt Kalifornien als das größte Anbaugebiet von Mandeln weltweit. Getränke, die aus diesen Mandeln produziert wurden, sind deshalb alles andere als regional. Produkte von „Wunderkern“ haben hingegen den Vorteil, dass die Rohstoffe bereits da sind und nicht Tausende Kilometer weit nach Europa transportiert werden müssen. Auch sind keine landwirtschaftlichen Anbauflächen zusätzlich notwendig. Schließlich verarbeitet „Wunderkern“ neben den Samen auch noch die Schalen, die in der Kosmetikbranche Verwendung finden. Dort werden Schalen beispielsweise für Peelings als biologische Alternative zu Mikroplastik eingesetzt. Somit stellt „Wunderkern“ sicher, dass wirklich 100 % der Obstkerne sinnvoll umgewandelt werden. „Wunderkern“-Produkte sind im ausgewählten Handel oder im Onlineshop erhältlich.
Fotos: Kern Tec GmbH