Wenn Literatur und Landwirtschaft aufeinandertreffen, dann ist Reinhard Kaiser-Mühlecker am Werk. Der 40-jährige Schriftsteller, dessen jüngstes Buch „Wilderer“ kürzlich mit dem Bayerischen Buchpreis 2022 ausgezeichnet worden ist, schreibt nicht nur über den ländlich-bäuerlichen Raum, er lebt auch dort – als Landwirt.
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Dieses berühmte Zitat des Philosophen Ludwig Wittgenstein kann einem in den Sinn kommen, wenn man in die Romanwelt des oberösterreichischen Autors eintaucht. Wittgenstein mag zwar eher an Unbegreifliches gedacht haben, während das Schweigen bei Reinhard Kaiser-Mühlecker vielmehr ein Nicht-Reden ist, das dort, wo es stattfindet, kaum auffällt. Es ist kein Stilmittel, sondern Lebensrealität jener Welt, aus der er schöpft, die er kennt und die er zeigen will, wie sie ist. „Eine einigermaßen sachliche, das heißt auch gerechte Darstellung unserer Lebenswelt in Romanen und Erzählungen hat mir immer gefehlt. Das war sicher der Hauptgrund, meine ersten Geschichten hier anzusiedeln“, sagt der Eberstalzeller. Dem Unvermögen seiner Protagonisten, sich einander mitzuteilen, steht er selbst neutral gegenüber. „Vielleicht kommt diese Sprachlosigkeit daher, dass es oft gar nicht notwendig war, etwas in Sätze zu gießen“, meint er.
Hof, Tiere, Maschinen, die Arbeit – das alles steht im Vordergrund, erst dann kommen die Befindlichkeiten der Menschen. Bäuerinnen und Bauern seien aber sehr gute Beobachter. „Das müssen sie sein, genauso wie Schriftsteller“, zieht der 40-Jährige Parallelen zwischen den zwei Berufen, die auch seine eigenen sind. Auf die Frage, ob er mehr Landwirt oder mehr Schriftsteller sei, meint er: „Für mich hat beides eine große Bedeutung. Und beides hat Platz, wie vieles Platz haben kann in einem Leben. Die Liebe zur Literatur kam erst, als ich schon erwachsen war, die Liebe zur Landwirtschaft war wohl schon von früh an da. Es sind zwei Arten, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, die sich in vielem unterscheiden und in vielem ähneln. Beide sind absolut konstruktiv, in beiden Fällen wird geschaffen.“
Für ihn und seine Familie sei immer klar gewesen, dass er eines Tages den Hof übernehmen werde. „Ich war als Hoferbe vorgesehen und von klein auf überall dabei“, sagt Kaiser-Mühlecker, der mit zwei Geschwistern aufgewachsen ist. Auch wenn ihn seine Wege zwischenzeitlich weit weg geführt haben: Er habe stets gewusst, dass sein Platz einmal jener sein werde, den er in seinen Büchern so eindringlich beschreibt. „Mir vorzustellen, dass unseren Hof jemand anderer bewirtschaftet – das geht einfach nicht“, sagt er.
Dabei hat er mit seiner bäuerlichen Herkunft einst auch gehadert. Etwa im Gymnasium, „da war ich der einzige Bauernbub“. Er habe rasch gemerkt, dass der Stellenwert eines Landwirts nicht der größte sei. „Einmal fragte ein Lehrer nach dem wichtigsten Beruf. Wir Schüler konnten was an die Tafel schreiben. Ich, damals zehn oder elf Jahre alt, habe nichts hingeschrieben. Ich habe mich einfach geschämt, aufzustehen und Bauer oder Landwirt hinzuschreiben“, sagt Kaiser-Mühlecker. Die Szene trage er immer noch mit sich herum. „Damals war Bauer noch ein Schimpfwort, was unerhört ist.“
„Die meisten wissen immer noch nicht, dass ihr Essen nicht aus dem Supermarkt kommt.“ Reinhard Kaiser-Mühlecker
Ob es heute anders ist? „Es sollte anders sein, ja, aber ich fürchte, die meisten wissen immer noch nicht, dass ihr Essen nicht aus dem Supermarkt kommt“, sagt der Oberösterreicher. Er hat mit dem ländlichen Raum und bäuerlichen Protagonisten sein literarisches „Feld“ und damit eine Nische gefunden, ohne sie gesucht zu haben. Sein Wunsch ist, dass Menschen ohne Interesse für die Landwirtschaft durch seine Bücher zumindest eine Ahnung davon bekommen. So spielt auch „Wilderer“, sein mittlerweile achter Roman, auf einem Hof – und in der heutigen Zeit: existenzieller Druck, wenig Wertschätzung und Stadt-Land-Differenzen inklusive.
Drei Fragen an den Autor:
ProHektar: Was ist für Sie das Schöne am Beruf des Landwirts?
Kaiser-Mühlecker: Ich denke viel über die Verantwortung nach, die Landwirte tragen und die eine Verantwortung für die ganze Welt ist. Wir sind verantwortlich dafür, dass der Boden unter unseren Füßen fruchtbar bleibt. Das ist eine große Verantwortung und eine Ehrfurcht gebietende Aufgabe. Das finde ich schön. Und dass Leben und Arbeiten eine Einheit sind — wie übrigens beim Schreiben auch.
Wie reagieren die Menschen aus Ihrem Umfeld, aus Ihrer Gegend auf Ihre Bücher? Bekommen Sie Rückmeldungen oder gibt es da vielleicht auch Berührungsängste?
Ich lebe im Allgemeinen recht zurückgezogen, aber natürlich gibt es Begegnungen, etwa mit Nachbarn. Ich schätze die Gespräche mit ihnen, weil sie so viel wissen und weit mehr Erfahrung haben als ich – wir reden also vor allem über die Landwirtschaft, weil es das Verbindende ist, und mit den Älteren auch über die Geschichte dieses Raums. Wie war dieses und jenes früher? Dinge, die ich nicht wissen kann. Auch über meine Bücher reden wir manchmal, die sind kein Geheimnis, und ich habe nicht das Gefühl, dass es da große Berührungsängste gibt. Man kennt sich seit jeher, diese Grundlage ist das Entscheidende.
Wie darf man sich Ihren Alltag am Hof vorstellen? „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, sagt ein Sprichwort. Aber was ist was?
Beide Berufe sind auch harte Arbeit. Dennoch denke ich oft, dass ich Glück habe, weil ich nur Dinge tue, die mir Freude machen. Wie der Alltag aussieht, kommt darauf an, was es gerade am Betrieb zu tun gibt – wie überall. Er gibt den Rhythmus vor, und mein Schreiben richtet sich danach. In der Regel ist es also die kalte Jahreshälfte, in der ich am Schreibtisch sitze.
Fotos: Jürgen Bauer, Verlag S. Fischer